
Joan Armatrading
Meine heutige Tages-LP führte über ein kleines Büchlein (142 Seiten aus dem Jahre 1987) von Veronika Matho „Die 100 besten Rock & Pop LPs“, wie gesagt aus dem Jahre 1987, fein alphabetisch geordnet, auf den Plattenteller.
Nummer eins des Buches im Inhaltsverzeichnis: Abba „The Visitor“. Kam ich nie dran. Nr. 2 America „America“. Hat sich irgendwie tot gelaufen, vielleicht später mal wieder. Nr. 3 Joan Armatrading „Walk under Ladders“. Da lohnte es sich doch mal, zum Regal zu gehen und die Scheibe direkt auf den Plattenteller zu legen.
Rückblende: Aufmerksam wurde ich auf Joan Armatrading durch ihren Auftritt in der 6. WDR Rockpalastnacht am 19./20. April 1980. Okay, ansehen wollte ich mir die Rocknacht vorrangig aufgrund der Auftritte von Ian Hunter (feat. Mick Ronson) und natürlich ZZ Top. The Blues Band und Joan Armatrading dienten eigentlich mehr zur Einstimmung und zur Feinabstimmung der Technik. Über den Fernseher kam das Bild und den Ton lieferte die Stereoanlage, damals hatte ich eine relativ einfache Dual Kompaktanlage mit Zwei-Weg-Lautsprecherboxen, nix Komponenten-Anlage, nicht einmal der damals sehr beliebte Schneider-Würfel, ebenfalls eine Kompaktanlage, allerdings eine angesagte Kompaktanlage.
An diesem Abend lief alles wie geschmiert. Die Anlage stand vom ersten Moment, keine Aussetzer, Bild und Ton waren fast synchron, das Bier gut gekühlt und ging gut durch die Kehle, es konnte ein schöner Abend werden. Es wurde ein schöner Abend und zwar musikalisch früher als ich gedacht hatte. Spätestens nach The Blues Band, übrigens mit Tom McGuinness und Hughie Flint, nah klingelt es bei McGuinnes Flint, doch dies ist eine andere Geschichte, in der es bei mir erst viel später funkte.
Joan Armatrading startete mit „Mama mercy“ von ihrer 77er LP „Show some emotion“. Ich erinnere mich nicht mehr an sämtliche Songs, doch gleich dieser Einstieg rief bei mir einen absoluten Gänsehautschauer hervor. Die Musikerin, für ihre komplizierten Arrangements bekannt (was ich damals noch nicht wusste), überzeugte vom ersten Moment ohne irgendwelchen Schnickschnack, keine großartige Lightshow, keine Rumgehampel, irgendwelche Tanzschritte, hier überzeugte einzig und allein die Musik und die Interpretin. Van Morrison ließ grüßen, Joan Armatrading hatte was, sie konnte Musik und zog die Hörer*Innen in ihren Bann. So wie der Opener blieb bei mir der Titelsong des 1980 erschienenen Albums „Me myself I“ und „Rosie“, den ich leider nur auf der 83er Compilation „Track Records“ besitze. Das Armatrading Konzert war für mich so intensiv, dass ich mich an alles in dieser Rocknacht Folgende nicht mehr erinnern kann. Gleich am nächsten Tag kaufte ich mir die Live-LP „Steppin´ out“ und wenig später das damals aktuelle Werk „Me myself I“. Beide LPs drehten sich bei mir wochen- ja monatelang auf dem Plattenspieler.
Eine dieser beiden LPs wäre für mich persönlich immer eine Option für irgendwelche Chartlisten gewesen, doch „Walk under Ladders“? Was bewegte Veronika Matho dazu, „Walk under Ladders“ zu wählen. Matho hob in ihren Ausführungen auf den damals vollzogenen Stilwechsel ab. Topmusiker wie Joe-Jackson-Gitarrist Gary Sandford und Peter-Tosh-Schlagzeuger Robbie Shakespeare gaben dem Armatrading-Sound einen deutlich rockigeren Touch. Geblieben sind typische Armatrading-Balladen wie „Only one“ und „No love“. Hinzu kommt, dass der Gesang (Mezzo-Sopran) noch intensiver, noch ausdrucksstärker daher kommt. Aus heutiger Sicht, nachdem ich mir die LP gerade mehrmals angehört habe, muss ich feststellen, dass die Bläser-Sequenzen deutlich rupiger, bluesiger klingen und sich das Gitarrenspiel ebenfalls in kurze aber feine Blues-Figuren verliert. Dichte Klangteppiche bilden ein Wechselspiel mit sehr zurückhaltenden Instrumentierungen. Verglichen mit dem Vorgänger „Me myself I“ hat Armatrading hier tatsächlich einen spannenden Wechsel vollzogen. Von ihrer früheren Folkphase ist nicht mehr viel geblieben.
Tatsächlich, „Walk under Ladders“ wird, wie einige andere Armatrading-Scheiben auch, in den kommenden Tag des öfteren auf meinen Plattenteller landen. Es ist ein klasse Werk, schafft es bei mir aber nicht, die Faszination der frühen Armatrading-Phase auszulöschen. Dafür schwingen da einfach zu viel persönliche Emotionen mit, „Walk under Ladders“ ist aber ein wirklich fantastisches Rockwerk, wobei das einfache Cover (damals üblich) in der Gestaltung viel Potential nach oben hat.
Übrigens: Das Buch „1001 Alben – Musik, die sie hören sollten, bevor das Leben vorbei ist“, hat weder „Walk under Ladders“ noch „Me myself I“ oder „Steppin´ out“ im Programm sondern lediglich das selbst betitelte 76er Album. Dies wäre erneut eine andere Geschichte.