Musiker Steven WilsonEiner für Alles
Auf seinem neuen Werk „The Future Bites“ präsentiert der Brite Steven Wilson Neo-Disco-Artrock mit typischen 1980er-Sounds. Musikalisch hochwertig und konsequent unberechenbar, auch auf die Gefahr, Fans zu verlieren. Die könnten, sagt der 53-Jährige, „die größten Feinde der Kreativität sein.“
Von Marcel Anders
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„Fans können Feinde der Kreativität sein“, sagt Steven Wilson (Lasse Hoile)
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Musik: „Self“
„Ich habe mich nie als Prog-Rock-Künstler gesehen. Und ich wehre mich gegen die Einstufung als ganz gewöhnlicher Musiker.“
Er passt in keine Schublade und will auch in keine passen.
„Ich habe zehn, fünfzehn Alben mit experimentellen und elektronischen Klängen gemacht. Außerdem Pop, extremen Metal und akustische Platten.“
Auch mit seinem neuen Album überrascht er wieder:
„Ich versuche zu vertonen, was ich in meinem Kopf höre. Da tauchen schon länger keine Gitarren mehr auf.“
Der Anspruch seiner Musik, setzt sich in den Texten fort:
„Ich kritisiere nicht, ich halte den Leuten einen Spiegel vor. Nach dem Motto: „Das ist die Welt, die ich sehe. Erkennt ihr euch darin?“
Steven Wilson macht es seinen Hörern definitiv nicht leicht.
„Fans können die größten Feinde der Kreativität sein. Sie wollen deine Kunst immer wieder durch dieselbe Tür betreten.“
Musik: „12 Things I Forgot“
Hemel Hempstead ist wohl der letzte Ort, an dem man einen international erfolgreichen Musiker vermutet: Eine triste Kleinstadt, 30 Zugminuten nordwestlich von London. Ihre Hauptattraktionen: Der größte Aldi-Markt Großbritanniens und ein Kreisverkehr, der „magic roundabout“. Aber Glamour? Nightlife? Kultur oder kulinarische Vielfalt? Fehlanzeige. Trotzdem – oder vermutlich gerade deshalb – fühlt sich Steven Wilson hier wohl: In Hemel Hempstead hat er seine Jugend verbracht, dann 20 Jahre in London gelebt und ist in den 2010ern zurückgekehrt, um sich um seine inzwischen verstorbenen Eltern zu kümmern. Seitdem wohnt er in einem Landhaus aus dem 16. Jahrhundert: Ein Refugium im Fachwerkstil, mit Wintergarten, viel Grün, Zugang zum Fluss und 40.000 CDs und LPs, die sich über das ganze Haus verteilen. Im ersten Stock findet sich sein Arbeitszimmer mit Heimstudio, das nüchtern und spartanisch wirkt.
„Alle glauben, ich hätte ein gigantisches Studio mit 48 Spuren, SSL, neuer Konsole und was-auch-immer. Dabei kommt man heute mit einem Computer aus, und ich bin da keine Ausnahme. Ich habe ein paar Macs und Instrumente wie Synthesizer und Gitarren. Sprich: Das Ganze ist sehr übersichtlich und kompakt. In einem kleinen, aber gemütlichen und sehr inspirierenden Raum. Schaue ich nach draußen, sehe ich die Bäume, den Garten, den Fluss und wie mein Hund durch die Gegend tollt. Das ist alles, was ich brauche.“
In dieser Atmosphäre, so Wilson, schreibe er seine besten Songs. Und er finde hier auch die Ruhe, um abzuschalten. Die braucht er: Wilson ist der Prototyp des Workaholics. Vielleicht sogar der König der Arbeitswütigen, seit über 40 Jahren.
Musik: Karma – „The Joke´s On You“
Musik: Altamont – „Prayer For The Soul“
Im Zeichen der Vielfalt
Das Frühwerk des Steven Wilson: Krautrockiges mit Altamont, Progressives mit Karma. Im Sommer 1983, als diese Aufnahmen entstehen, ist er 15 Jahre alt. Ein musikbegeisterter Schüler, der auf die Plattensammlung seines Vaters steht. Diese Demos sind heute bei Sammlern begehrt. Sie stammen von kurzlebigen Projekten, die meist nur ein bis zwei Alben hervorbringen – oder ein paar Singles. Weit beständiger und produktiver sind Blackfield, die Kooperation mit dem Israeli Aviv Geffen, oder das Art-Pop-Duo No-Man mit Tim Bowness. Und natürlich Porcupine Tree, mit denen sich Wilson zur Galionsfigur des modernen Prog-Rock aufschwingt, zum „King Of Prog“. Ein Titel, den er so gar nicht mag. Er fühlt sich dadurch auf etwas reduziert, das lediglich ein Teil von ihm ist. Logische Folge: 2008 wagt Wilson den Schritt zum Solisten, und ist so erfolgreich und vielseitig, dass er die meisten Nebenprojekte als überflüssig erachtet. Ab sofort bündelt er seine Interessen unter einem Namen: seinem eigenen.
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