Gestern habe ich einen alten Freund besucht, den ich schon seit gut 50Jahre kenne, und mit dem ich auch zusammen Abitur gemacht habe. Wir teilten auch zur der Zeit unsere Begeisterung für RUSH, die bei ihm aber Mitte der 90er nachgelassen hat.Wir unterhielten uns auch über die Sichtweisen, die andere auf RUSH haben. Er meinte, dass es doch verständlich sei, wie unterschiedlich die Alben gehört und bewertet werden.Viele würden eben nur die Musik hören, bei uns gehe dass aber über das Hören hinaus, Erinnerungen, Erfahrungen, und Gefühle sind mit Alben von RUSH verbunden, einige Alben würden sogar wichtige Teile von Lebensabschnitten darstellen, dazu kommt bei mir noch erschwerend hinzu, dass ich auch ein riesiger Fan von Neil Peart bin. Aspekte, die eben bei Anderen nicht mit ins Gewicht fallen, wenn sie die Musik von RUSH hören, vor allem Späteinsteiger würden vollkommen anders an die Alben herangehen, als wir es tun.
Ich schrieb gleich zu Anfang, dass ich nicht sicher sei, eine objektive Bewertung abzugeben, aber eine andere als meine subjektive, würde meiner Liebe zu RUSH einfach nicht gerecht werden.
Bei einer Skala von 1 bis 6 wäre meine Wertung für einige Alben sicherlich anders ausgefallen, 2112 zB wäre eine 5, eine glatte 6 hätten nur Hemispheres, Moving Pictures, Signals, Power Windows und Hold Your Fire bekommen. Bei der 15er Wertung spielten auch die genannten Aspekte wie Erinnerungen eine größere Rolle, zB bei Caress Of Steel . Deswegen habe ich mir wirklich schwer getan, und dass hier einige meine Punktevergabe nicht nachvollziehen können, liegt auf der Hand.
Es sind Erinnerungen wie die, dass mein Freund und ich uns die Hemispheres zusammen gekauft haben, da wir als Schüler halt ständig knapp bei Kasse waren. Das Album wanderte dann 2,3 Jahre hin und her, die Cassette konnte die LP eben nicht ersetzten.
Deshalb finde ich auch diese Bewertungslisten etwas deplatziert, weil es eben genau DARUM geht: dass Musik nicht auf der rein musikalischen/technischen Ebene wahrgenommen wird, sondern natürlich weit darüber hinaus, in tiefen emotionalen Schichten. Und das ist bei jedem anders, je nachdem, in welcher Lebensphase wir gerade stecken, ob wir jung oder schon etwas älter, gesettelter sind, ob wir gerade eine Krise durchstehen oder einen Moment echten Glückes erleben.
Ein Album, das grundsätzlich medioker bewertet wird, mir aber so ziemlich alles bedeutet und daher ganz oben in meiner internen Liste steht, ist z.B. "The Fire Inside" von Bob Seger. Da war ich 15, als ich das zum ersten Mal hörte, mitten in der Pubertät. Ich liebe dieses Album. Oder Blues Traveler's "Straight Till Morning", Sting's "The Last Ship" oder AC/DCs "Stiff Upper Lip". Ich verbinde mit diesen Alben Erlebnisse und Gefühle, die kein anderer jemals so erleben wird. Und deshalb sind es unangefochten meine Lieblinge, die oft auch die Erinnerungen aus der Zeit, in der ich das Album rauf und runter hörte, hervorrufen und manchmal auch die passenden Gefühle dazu. Es ist schon totaler Wahnsinn, was Musik mit einem anstellen kann.
Eine Frage, die ich mir oft stelle, ist: Geht das der Jugend heute auch noch so? Spielen Musiker und deren Botschaften noch eine tragende Rolle? Der Stellenwert von Musik hat schon arg nachgelassen in den vergangenen zwei Jahrzehnten, die ständige Verfügbarkeit, dieser uneingeschränkte Konsum hinterlässt Spuren, deren Auswirkungen auf die kommenden Jahrzehnte noch nicht wirklich klar sind. Als ich jung war, da gab es nicht viele Möglichkeiten, Musik zu hören. Der Schallplattenspieler und das Kassettendeck meiner Schwester waren meine Anlaufstelle, der absolut begrenzende Faktor war mein Budget. Im Nachhinein war das auch gut so, denn in dieser, nennen wir es Not ("wir hatten ja nix"

), gab es nur das, was da war, jedes ausgeliehene, vom kargen Taschengeld bezahlte, auf Kassette kopierte Album hatte Zeit, in mir zu wachsen. Skippen/Wischen war in der Regel nicht so drin, jeder Song bekam seinen Moment. Und ich fand das, und finde das auch heute noch, toll. Auch wenn es mir heute tatsächlich etwas schwerer fällt, bei einem neuen Song zu bleiben, wenn mir die ersten 30 Sekunden nicht zusagen. Geht mir oft so bei Magazin-Samplern, oder, ganz aktuell, bei AC/DCs neuem Album. Durchweg Grütze. Da bleibt nix hängen, so sehr ich mich auch anstrenge.
Wie auch immer: Ich glaube, diese Phase, in der Musik relativ eingeschränkt konsumierbar war und dadurch aber wachsen konnte – zwischen den 1950ern und bis Anfang 2000, also rd. 50 Jahre – ist für immer vorbei. Und ich glaube auch, dass sich diese Entwicklung auf die kommenden Generationen auswirken wird. Ich kann nicht sagen, wie genau. Vielleicht zeigt sich das in einer gewissen Inhaltslosigkeit, einer Lücke, die durch etwas anderes geschlossen werden muss. Wir waren in der glücklichen Lage, einige von Euch noch viel mehr als ich, die Hochphase des Rock zu erleben und in sich aufzusaugen. Das wird es so nicht mehr geben.