
Gisbert zu Knyphausen / Kai Schumacher „Lass irre Hunde heulen“
Der Liedermacher Gisbert zu Knyphausen und der Pianist Kai Schumacher widmen sich auf dem Werk „Lass irre Hunde heulen“ Liedern des Komponisten Franz Schubert. Im Begleittext auf der bedruckten Innenhülle ist nachzulesen, dass Franz Schubert ein Singer/Songwriter seiner Zeit war, der das Texten anderen überließ. Schuberts Werk umfasst ca. 600 Lieder (oder soll ich auf neudeutsch von Songs sprechen?) von denen sich Schumacher und zu Knyphausen zehn angenommen haben. Bei der Fülle an Material, welches den heutigen Künstlern zur Verfügung stand, kann hier mit Sicherheit nicht von einem repräsentativen Querschnitt gesprochen werden. Dennoch, was uns Gisbert zu Knyphausen und Kai Schumacher bieten, ist für mich vom Allerfeinsten. Allerdings, dies muss ich zugeben, bewege ich mich bei meinen Worten zu dieser LP auf sehr dünnem Eis, denn Klassik ist doch so wirklich nicht mein Ding. Genau dies ist eine vieldiskutierte Frage; ist dies Klassik oder Popmusik. Die Antwort darauf „Ja!“, so jedenfalls auf der Internetseite eines namhaften Musikversand nachzulesen. Nachzulesen ist dort ebenfalls, dass zu Knyphausen von Kai Schumacher den Vorschlag zu diesem Werk erhielt, er sich in die Schubert-Werke zunächst einhören musste und irgendwann hat es dann bei ihm „Klick“ gemacht.
Das gesamte Projekt begann eigentlich als Live-Konzert. Auszüge sind bei yt zu sehen und diese fesselten mich gleich, wobei ich nicht einmal genau wusste was die Faszination ausmacht. War es der Gesang, war es das für mich hoch intensive Klavierspiel oder waren des die Arrangements. Jedenfalls war das Werk für mich so spannend, dass ich gleich die LP, dies liegt bereits einige Monate zurück, orderte.
Mit einer gewissen Spannung und Vorfreude ging es für mich an den ersten Hördurchgang. Gleich erhielt ich die erste Antwort; „Gute Nacht“ beginnt mit mystischen Klängen, dem Schlagzeug und einigen akzentuiert gesetzten Klaviertönen, ehe zu Knyphausens Gesang einsetzt. Die Protagonisten lassen sich Zeit, Zeit zur Entfaltung des Liedes, setzen Akzente, die den/die geneigten ZuhörerInnen einfach packen müssen, so wird aus diesem klassischen Liebeslied auf der Zielgeraden allerbester Progrock. Fast bin ich schon geneigt zu sagen „Wow, passt“, da geht’s auf einmal mit „Der Wegweiser“ in eine ganz andere Richtung weiter. Kai Schumacher legt hier mit sanftem, ja ich möchte fast sagen zärtlichem Klavierspiel einen wunderbaren Klangteppich, auf dem Gisbert zu Knyphausen mit seiner gesanglich Darbietung sicher wandelt. Die hinzu kommenden Streichinstrumente vervollständigen das Bild perfekt und setzen erneut ein aufwühlendes finales Klangerlebnis. Ich sag doch, Prog...
So hat jeder einzelne Song sein ganz spezielles Klangerlebnis. „Ständchen“ setzt auf eine spartanische Instrumentierung, setzt voll auf den Gesang.
Mittlerweile liegen mehrere Hördurchgänge dieser ganz besonderen LP hinter mir. Die LP bietet mir jedes Mal ein neues, ein ganz besonderes Klangerlebnis. Mit jedem Hördurchgang ändert sich auch mein persönliches Lieblingslied dieser wirklich aufwühlenden Mucke. Aktuell ist dies gerade „Nähe der Geliebten“. Wie hier ein Text von Johann Wolfgang von Goethe mit der Musik von Franz Schubert und den Arragements von Gisbert zu Knyphausen, Kai Schumacher und Sebastian Deufel ins hier und jetzt befördert wurde, ist schlicht phänomenal. Nach den Original-Klavierklängen wird das Lied zu einem lockeren Gute-Laune-Song. Nix Progrock, allerbeste Singer/Songwriter-Attitüde. Ach ja, zu Knyphausens Genre-Schublade.
Bei dieser Vielfalt, es ist fast wie bei einem guten Essen, bei dem uns der Koch mit dem variantenreichen Einsatz von vielen, den Gaumen schmeichelnden Kräutern stilsicher einsetzend umgarnt, stellt sich die Frage, worin liegt das Rezept dieses gekonnten musikalischen Menüs. Ich komme dabei zu dem Ergebnis, dass es die Vielzahl der höchst unterschiedlichen Arragements sind. Mal zeichnet Schumacher verantwortlich, mal ist es zu Knyphausen, dann wieder gesellt sich Sebastian Deufel, der außerdem für das Schlagwerk verantwortlich zeichnet, dazu. Bei „Ständchen“ ist es außerdem noch Michael Flury, dessen Posaune in diesem Beitrag sehr akzentuiert wie eigenwillig zum Einsatz kommt.
Bleibt die Frage; viele Köche verderben den Brei? Absolut nicht, hier ist ganz Großes gelungen. Allerdings, dies muss ich auch erwähnen, für dieses Werk benötigt man Zeit und Geduld. Diese Musik ist nicht im „Vorbeigehen“ zu konsumieren.
Einen kleinen Vergleich möchte ich anbringen: Eine Blues-Band, die ich sehr schätze, „Schwarzbrenner“ vertont Texte (zuletzt) von Georg Heym, Clemens Brentano und „Des Knaben Wunderhorn“, macht ebenfalls Musik, die in ihrem Stil vollkommen aus der Zeit fällt.
Schwarzbrenner, zu Knyphausen und Schumacher haben für mich eines gemeinsam, sie schaffen Werke die nicht für den einmaligen Gebrauch bestimmt sind.
Gisbert zu Knyphausen und Kai Schumacher haben hier etwas geschaffen, was in meinen Ohren schlicht brillant klingt. Ja, Gänsehautfeeling...
Noch schnell ein paar Worte zur LP: Schwarzes Vinyl, beste Aufnahmetechnik, ausgewogen, weich. Es macht sich gut, die LP vor dem ersten Hördurchgang einem Waschgang zu unterziehen. Das Vinyl steckt in einer bedruckten Innenhülle, mit allen, aber wirklich allen wichtigen Informationen. Das Cover (persönlich hätte ich mir ein Gatefold gewünscht) ist künstlerisch perfekt sehr geschmackvoll gestaltet. Bleibt als einziges Manko die fehlende gefütterte Innenhülle. Dieses Problem kennen Plattensammler und beheben es selbst sehr schnell. Doch hätte ich dies nicht erwähnt, wäre dieses Werk schlicht makellos.